roland.richter@myokay.net aus 65185 Wiesbaden , 20. Januar 1999
Knappe Darstellung des Inhalts mit Bewertung
Der in Bovenden bei Göttingen lebende Historiker Karlheinz Weißmann hat nach seinem Buch
über die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland eine weitere Arbeit
vorgelegt, die sich mit dem Thema auseinandersetzt.
Der Nationale Sozialismus trägt als Untertitel Ideologie und
Bewegung 1890 1933. Es handelt sich hierbei um eine ideengeschichtliche
Darstellung, welche die Herkunft jener Ideologie untersucht. Dieses Buch versteht sich als
Vorläufer des ursprünglich im 1995 als Band 9 der Propyläen Geschichte
Deutschlands erschienenen Bandes Der Weg in den Abgrund, welches alsbald
vom Verlag zurückgezogen und mittlerweile beim Herbig-Verlag wieder erschienen ist.
Grob untergliedert das Buch sich in zwei Hälften. Zunächst wird die
geistesgeschichtliche Situation dargestellt, in der Nationalismus und Sozialismus in
Europa die politische Symbiose eingehen konnten. In dem zweiten Teil des Buches wird dann
deutschlandspezifisch an der Entwicklung der NSDAP und der Person Adolf Hitlers dessen Weg
zur Macht dargestellt.
Anfangs wird die geistesgeschichtliche Situation am Ausgang des vom Liberalismus
geprägten 19. Jahrhunderts dargestellt. Gruppierungen, die sich von den neuen Strömungen
des Sozialismus und Nationalismus gleichermaßen angezogen fühlten, fanden sich vor allem
in Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Ländern der österreichisch-ungarischen
Monarchie. Die Industrialisierung und die Auffassung der Nation als relativ homogenes,
seine Mitglieder auch wirtschaftlich sicherndes Ganzes führte zur Idee eines
nationalen Sozialismus, welche in allen Schichten des politischen Lebens
Anhänger fand. Auch auf die Rolle des Antisemitismus, die schon in diesem Zusammenhang zu
behandeln ist, geht Weißmann ein.
Vor dem ersten Weltkrieg, als die Klassengesellschaft alle Länder Europas prägte,
konnten sich derartige Ideen jedoch nirgendwo durchsetzen. Erst nach dem ersten Weltkrieg,
als die bürgerliche Klassengesellschaft in den Schützengräben ihr Ende gefunden hatte,
konnte sich die Massengesellschaft durchsetzen, die unabdingbare Wirkungsvoraussetzung
national-sozialistischer Ideen war.
Die liberale Demokratie des Westens und der russische Bolschewismus ließen nun den Ruf
eines dritten Weges zwischen Kommunismus und Kapitalismus laut werden, für
die Anhänger eines nationales Sozialismus nunmehr eintraten. In ihren Augen hatte der
Krieg den Zusammenhang von nationaler und sozialer Ordnung bestätigt, und der Zerfall der
Internationale und der Kriegssozialismus waren den Erwartungen vieler National-Sozialisten
entgegengekommen.
Der erste Teil des Buches schließt dann mit einer Erläuterung der Bedingungen, unter
denen der Faschismus in Italien entstand und erfolgreich werden konnte, so daß Mussolini
am 31. Oktober 1922 Chef einer Koalitionsregierung werden und sich so schließlich ein
faschistisches System in Italien etablieren konnte.
Der zweite Teil der Darstellung konzentriert sich auf die Entwicklung in Deutschland,
wobei der Blick auf die Person Adolf Hitlers und die NSDAP fokussiert wird.
Zunächst wird eine Übersicht über die Biographie Hitlers bis zu seinem Eintritt in
die NSDAP gegeben, anschließend wird seine politische Haltung dargestellt, soweit sie
sich schon entwickelt hatte. Bis zum gescheiterten Putsch 1923 trat er offen für einen
offenen revolutionären Umsturz der politischen Verhältnisse ein. Nach Scheitern des
Putsches wurde Hitler zur Festungshaft verurteilt, in der er nach Weißmanns Auffassung
erstmalig sein politisches Weltbild durch ein systematisches Studium verfestigte. In
dieser Zeit verfaßte er auch den ersten Teil von Mein Kampf, welches zwar
weite Verbreitung fand, aber offensichtlich nur wenig gelesen wurde. In diesem Buch war
Hitlers revolutionäres Programm ausgearbeitet publiziert. Nach der Machtergreifung soll
Hitler geäußert haben, daß er dieses Buch wohl nicht geschrieben hätte, wenn er damals
geahnt hätte wirklich an die Macht kommen zu können. Nicht wegen seines Inhalts, sonders
aufgrund der möglicherweise die Massen abschreckenden Programms, welches er darin
entwickelt hatte.
Weißmanns Buch behandelt nun die zweite Gründung der NSDAP und ihren politischen
Durchbruch Anfang der 30er Jahre, die Aversion Hindenburgs gegen den böhmischen
Gefreiten sowie die innerparteiliche Entwicklung. Insbesondere Aufstieg und Fall
Strassers findet Beachtung.
Ausführlich wird das Verhältnis zur KPD dargestellt, welches keineswegs nur von
Feindschaft, sondern auch von partieller Zusammenarbeit, etwa beim BVG-Streik 1932,
geprägt war.
Schließlich endet die Darstellung Weißmanns mit der Machtergreifung Hitlers am 30.
Januar 1933.
Im Anhang finden sich ein Abkürzungsverzeichnis, eine ausführliche Bibliographie und
ein Personenregister. Vermißt wird ein Sachregister.
Weißmanns Buch ist geht sehr ins Detail, bleibt bei allem jedoch stets gut lesbar. Es
kann allen am Thema Interessierten nur empfohlen werden, da es sich durch eine durchgehend
sachliche Darstellungsweise auszeichnet. Weißmann versucht nicht, längst entschiedene
ideologische Schlachten neu zu schlagen.
Das Buch hat bei Erscheinen eine Diskussion neu belebt, ob der Nationalsozialismus
politisch rechts zu verorten sei. Es gibt Gründe dafür (Ablehnung des
allgemein als links verorteten Bolschewismus, Überbetonung des
nationalen und Ablehnung jeden Internationalismus, Schaffung eines
Volkssozialismus) wie auch dagegen (politische Herkunft aus dem vieler Nationalsozialisten
sozialistischen Lager, Selbstverständnis als revolutionäre Arbeiterpartei, Ablehnung
bürgerlicher Kräfte als reaktionär, Ablehnung der Wiederherstellung der
Monarchie). Weißmann entscheidet diese Frage letztendlich nicht. Meines Erachtens ist
diese Fragestellung zudem auch falsch, da der Nationalsozialismus seine Wurzeln sowohl
rechts als auch links hat, sich aber jenseits dieser Verortungen
sieht.
Rezensent: F. Roland A. Richter |