Wandervogel

Deutschland

Wenn die Familie verfällt

Farben der DHG Westmark

Jürgen Liminski (Westfalen-Blatt v. 7.5.1999):

Wenn die Familie verfällt.............

Daraus hätte man etwas machen können. Am Sonntag, Muttertag und am Samstag darauf der UNO-Welttag für die Familie - eine Woche für Mutter und Familie. Aber außer den üblichen Lippenbekenntnissen und der hilflosen Frage, wie man denn das Karlsruher Familienurteil umsetzen könne - sozusagen gratis oder kostenneutral, wie üblich bei familienpolitischen Angelegenheiten - ist nicht viel zu hören.

Da gab es im letzten Herbst eine Hoffnung in Form vieler wohlfeiler Versprechen. Aber genauer betrachtet ist es im rot-grünen Deutschland sogar noch schlimmer geworden. Die neue Familienministerin versteht sich vorwiegend als Frauenrechtlerin, die die starren Rollenbilder aufbrechen will. So lehnt sie es ab, das seit 13 Jahren unveränderte Erziehungsgeld auf ein zeitgemäße Niveau anzuheben, obwohl das Familienurteil aus Karlsruhe genau in diese Richtung weist.

Man will statt dessen eine Reihe "bewußtseinsbildender Maßnahmen" für Väter unterstützen - für ideologisches gibt es offenbar immer noch genug Geld. Männer sollen mehr Zeit Teilzeitjobs annehmen, damit die Mütter außer Haus einer Arbeit nachgehen können. Das Heidelberger Büro für Familie und soziale Sicherheit meint dazu lapidar: für die Bundesregierung ist der familienpolitischen Idealzustand erreicht, wenn alle Kinder in einer öffentlichen Betreuungseinrichtung unterkommen und beide Eltern in Teilzeit arbeiten können.

Das wäre so recht nach alter DDR-Art. Ministerin Bergmann hat offenbar nicht viel dazugelernt und will diese soziale Errungenschaft jetzt auch im vereinten Deutschland flächendeckend durchsetzen. Aber dieser Denkansatz geht, so das Heidelberger Büro treffen, an der Lebensrealität der meisten Familien vorbei. Teilzeitarbeit können sich gerade junge Familien finanziell nicht leisten, deshalb ja auch nur in zwei von 100 Fällen der Mann den Erziehungsurlaub nehmen.

Übrigens zeigt gerade dieses Wort, wie weltfremd die Politik ist. Als ob die Arbeit in der Familie Urlaub wäre! Vielmehr handelt es sich um einen Wechsel von einer Arbeit zu einer anderen, wobei sicher diskutabel ist, welche Arbeit denn nun mehr Zeit, Engagement und Persönlichkeit erfordert.

Familienpolitik ist in Deutschland zur reinen Symbolpolitik heruntergekommen. Darauf hat vor einem Jahr schon der bekannte Bielefelder Familienforscher und Soziologe, Professor Franz Xaver Kaufmann hingewiesen. Das sei die Achillesferse des Sozialstaats und keine Sache der Finanzen, sondern der Mentalitäten. Die deutsche Wirtschaft und ihre Manager würden das Resultat in Gestalt von mangelnden Humankapital und fehlender Binnennachfrage in den nächsten Jahren schmerzlich zu spüren bekommen.

Immer mehr Frauen, mittlerweile jede dritte, bleibe lebenslang kinderlos. Nur durch den Zuzug von Ausländern bleibe die Bevölkerungszahl derzeit halbwegs konstant. In der CDU, vor allem bei den Sozialpolitikern und der CDA, regt sich was. Die Partei findet mühsam zu ihrem Fundament zurück. In der Opposition hat man einen schärferen Blick für Zukunftsfragen.

Aber das Problem ist nicht nur wirtschaftlich und demographisch. Aus einer aktuellen Umfrage im April geht hervor, daß die Deutschen für die Zukunft Generationenkonflikte befürchten. Die Jungen seien immer weniger bereit, für die Alten Sorge zu tragen. Der Individualismus schlägt durch. Man kann das auch anders sehen:

Der Mangel an Mütterlichkeit und an Familien- und Gemeinsinn wird spürbar. Solidarität, teilen und lieben, soziales Verhalten - all das lernt man eben zuerst und vor allem in der Familie. Wenn die Familie zerfällt, weil die totalitäre Arbeitswelt es den Müttern zu schwer macht, weil die Schulen nicht mehr mitziehen, weil die Politik mehr auf die lauten Randgruppen denn auf die stillen Säulen der Gesellschaft achtet, dann darf man sich nicht wundern, daß es immer weniger Mütter - übrigens auch Väter - gibt. Und daß die Gesellschaft daran krankt.

Eine Saat geht auf. Keine Gesellschaft kann auf Dauer von der Ausbeutung der Familie und ihrer Ressourcen leben. Wochen und Gedenktage wie jetzt sollten deshalb tatsächlich zum Nachdenken anregen. Das gesellschaftliche Defizit muß von allen - Politik, Kirchen, Verbänden und vom Bürger - behoben werden. Karlsruhe allein kann es nicht richten.

©Westfalen-Blatt (7. Mai 1999)


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